Vertikallasten

Allgemeines zur Statik von Fassadenbegrünungen mit Kletterpflanzen

Die verstärkt notwendige Beachtung statischer Aspekte bei Fassadenbegrünungen resultiert vor allem aus der zunehmenden Häufigkeit und Dicke außenseitiger Wärmedämmungen. Damit verbunden sind Fassadenoberflächen
weniger belastbar und Befestigungsmittel für Kletterhilfen müssen vergrößerte Kraglängen bewältigen können. Oft erreichen die gewünschten Fassadenbegrünungen Dimensionen, die den Einsatz sehr starkwüchsiger Kletterpflanzen erfordern und in der Praxis unterbleiben sehr oft eigentlich notwendige Schnittmaßnahmen an wucherndem Fassadenbewuchs.
Die statische Bemessung erforderlicher Bauteile (Gerüstkletterpflanzen), bzw. die Prüfung der Tragfähigkeit einer Fassade (Selbstklimmer) gemäß der folgenden Ausführungen trägt nicht nur zum sicheren Halt von Kletterhilfen und Kletterpflanzen bei, sondern dient auch der Vermeidung von Schäden am Bauwerk ­speziell der Fassade!

Folgende statische Aspekte sind bei der Planung einer Fassadenbegrünung zu berücksichtigen:

  • Gewichte von Kletterhilfen, Befestigungsmitteln und Bewuchs unter Berücksichtigung von Nässe, Früchten und ggf. Schnee und Eis
  • Windlasten auf vorstehend bezeichneten Komponenten einer Fassadenbegrünung
  • Wechselnde Spannungszustände von Kletterhilfen aufgrund witterungsbedingter Einflüsse (vor allem Längenänderungen durch Temperatur- oder Feuchtewechsel)
  • Pflanzenverursachte Spannungszustände aufgrund des Dickenwuchses der Kletterpflanzen (speziell sog. Starkschlinger).

Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich weitgehend auf die Ermittlung von Vertikal- und Horizontallasten durch Gewichte und Windeinwirkung.
Zum Umgang mit pflanzenverusachten Kräften sind zwar allgemeine Empfehlungen zu deren Minderung und eventueller Beherrschung, jedoch keine Dimensionierungshilfen möglich. Dazu finden sie weitere Informationen im Menü „Kletterhilfen“.
Die statisch relevanten Aspekte sogenannter „Ranksysteme“, z.B. die Spannungszustände von Seilsystemen müssen bei den jeweiligen Anbietern erfragt werden.

Teil I – Vertikallasten

 

Blühende Elfen und grüne Elefanten

1.1    Gewichtsabschätzungen für Fassadenbegrünungen im Sommer
Gewichte von Kletterhilfen und Befestigungsmitteln lassen sich einfach anhand der Massen berechnen oder bei Herstellern erfragen. Je nach Werkstoff und Materialeinsatz ist bei gitterartigen Ausführungen mit einem Gewicht von 0,005 kN/m² bis 0,1 kN/m² zu rechnen.

Das Gewicht von sehr lichten Seilkonstruktionen ist i.d.R. unerheblich. Allerdings wird die jeweils vorhandene Seilspannung nicht nur von Vertikallasten beeinflusst, sondern in sehr beachtenswertem Maß auch von Windlasten und den derzeit nicht kalkulierbaren pflanzenverursachten Spannungszuständen.

Gegenüber der einfachen und verlässlichen Gewichtsermittlung von Kletterhilfen stellt sich die der Kletterpflanzen als „Spekulation“ im positiven Sinne von „vergleichender Schätzung“ dar.

Im folgenden wird ein vorläufiges Berechnungsmodell vorgestellt, das aufbauend auf bisherige Erkenntnisse (u.a. Daten aus der „Richtlinie zur Planung, Ausführung und Pflege von Fassadenbegrünungen mit Kletterpflanzen“, FLL 1995) letztendlich ein Maximalgewicht vorausberechnet, das eine bestimmte Kletterpflanze an einer geplanten Kletterhilfe mit festgelegten Außenmaßen im Regelfall nicht übersteigen wird.

Das Gesamtgewicht einer ausdauernden Pflanze gewisser Größe wird selbstverständlich durch die Holzmasse und die Belaubung bestimmt. Bei beidem gibt es artspezifische und individuelle Unterschiede für Volumen und Dichte. Das gilt natürlich auch für die zur Fassadenbegrünung gebräuchlichen Kletterpflanzen.

Kletterpflanzen bilden extrem wenig und/oder sehr leichtes Holz. Dabei ist die Holzdichte bei lebendem Holz kaum relevant, da der hohe Wasseranteil zu einer Dichte um 1 führt. Allerding ist der Holzanteil der Kletterpflanzen geringer als bei Gehölzen, die sich selbst tragen. Daher wiegt die Gesamtmasse des Holzes von Kletterpflanzen nur etwa 1/10 desjenigen von vergleichbar hohen Bäumen. Zwischen den kletternden Arten gibt es jedoch – auch bei vergleichbarer Größe – artpezifische Strukturmerkmale hinsichtlich der Schlankheit der Triebe, bzw. des Durchmessers am Wurzelhals.

Fassadenbegrünung - Strukturunterschiede bei Kletterpflanzen
Abb. 1    Strukturunterschiede ausgewachsener Kletterpflanzen
Holz­ und Laubgewicht entwickeln sich artspezifisch und altersabhängig. Das absolute Laubgewicht richtet sich nach der lichtzugewandten Oberfläche. Das Holzgewicht wird dagegen aufgrund der besonderen Verwendung im Laufe der Jahre erheblich durch Schnittmaßnahmen (= künstliche Beschränkung der Größe) beeinflusst. Da diese überwiegend junge, d.h. dünne Triebe betreffen, muss davon ausgegangen werden, dass auch bei gepflegten oder kleiner gehaltenen Pflanzen das Holzgewicht langfristig annähernd einen artspezifischen Maximalwert erreicht. der in einer Relation zum Triebdurchmesser steht. Der Triebdurchmesser wird anders als der forstwirtschaftlich interessante Stammdurchmesser von Bäumen ­allgemein direkt über dem Erdboden ermittelt. Nur hier ergibt sich ein vergleichbares Maß (siehe Abb.1).

Der Durchmesser einzelner Triebe nimmt aufgrund Verzweigungen mit der Entfernung zur Pflanzstelle ab. Damit reduziert sich auch das flächenbezogene Gewicht der Pflanze nach oben und zu den Seiten hin. Für die Berechnung bin ich von einer vereinfachten potentiellen Wuchsform der Kletterpflanzen an Fassaden ausgegangen. Sie entspricht einem Viertelkreis, der auf der Spitze steht, also genau der natürlichen Ausbreitung von Efeu auf ausreichend großen Flächen. Der Radius dieses Kreisausschnittes ist durch die Wuchshöhe (h) vorgegeben. Entsprechend potentieller Größe und jährlichem Zuwachs wird ein Überhang der Pflanze (Ü) berücksichtigt. Damit ist der unter natürlichen Bedingungen eintretenden räumlichen Entwicklung, die an Fassaden eingeschränkt ist, angemessen Rechnung getragen.

potentielle Wuchsentwicklung von Kletterpflanzen zur Fassadenbegrünung,
Abb. 2     Prinzipskizze „Idealisierte Wuchsform“
Die zweite markante Ausgangsgröße für das Holzgewicht, der „Triebdurchmesser am Wurzelhals“, liegt je nach Art zwischen 1 cm und 50 cm (oder mehr). Entsprechend unterschiedlich ist das absolute Holzgewicht der Arten.
Beispielsweise ermittelte ALTHAUS („Gartenpraxis“ 1992) durch Auswiegen für zwei 70 Jahre alte Wisterien ein Holzgewicht um 2,5 kN, für eine 40 Jahre alte Aristolochia jedoch nur rund 0,25 kN. Die übergrünte Fläche betrug jeweils rund 24 m².

Einige Arten, insbesondere Wisteria, bilden zum Teil sehr ausgeprägte baumstammartige Triebe, die sicherlich einen Teil der Vertikallasten tragen (vgl. Wisteria in Abb. 1) könnten. Dieser in Einzelfällen statisch durchaus relevante Aspekt muss bei Planungen jecdoch völlig unberücksichtigt bleiben. Ob sich ein gerader und damit trotz seiner Elastizität ausreichend knicksicherer oder biegesteifer Stamm entwickelt oder eher ein hängendes „Triebgewirr“ (wie beim Knöterich in Abb. 1) ist nicht vorhersehbar. Außerdem belegen Beispiele aus der Praxis, dass selbst gerade Leittriebe erheblicher Dicke (auch < 30 cm Durchmesser) im Laufe der Jahre kippen oder knicken. (Mehr dazu auch unter „Wisteria“)

Das potenzielle Holzgewicht der Kletterpflanzen – hier immer bezogen auf den Maximalwert, den ein Exemplar hierzulande wahrscheinlich erreichen könnte – steht also primär in Relation zu Triebdurchmesser und Wüchsigkeit (Maximalgröße) der jeweilgen Art, wobei es natürlich in der Praxis erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Pflanzen gibt. Speziell an dieser Stelle ist man sich auch in Expertenkreisen unsicher, welche Daten man in Westeuropa oder auch nur in den unterschiedlichen Klimaten Deutschlands zugrunde legen soll oder muss.
Ich habe anhand einfacher Formeln zu Ermittlung der Holzvolumen aus den vorgenannten Größen Holzgewichte für die hierzulande gebräuchlichen Arten zwischen (gerundet) 10 kp und ca. 8000 kp ermittelt. Letzterer Wert gilt für Wisteria sinensis – die hierzulande mit großem Abstand schwerste Gerüstkletterpflanze. Laut o.a. Link ist die weltgrößte Wisteria (Standort Kalifornien) (belaubt) allerdings etwa 20 x schwerer.

Die ermittelten Holzgewichte finden Sie in der Tabelle „Bemessungsdaten„. 

Aus den bisher dargestellten Fakten folgen Grundlagen für die Berechnung der Vertikallasten von Fassadenbegrünungen mit begrenzten Abmessungen:

  • Das absolute Laubgewicht ist proportional der lichtzugewandten Oberfläche. Das Gewicht des an der Oberfläche exponierten Laubes wird durch Niederschläge beeinflusst
  • das maximale absolute Holzgewicht entspricht maßgeblich der potentiellen Größe von Triebdurchmesser und Höhe. Das Wuchstempo hat Einfluss auf die Holzdichte, schnellerer Wuchs = geringere Dichte.

Vereinfachend wird angenommen, dass das maximale Holzgewicht sich im Verhältnis Oberkante Kletterhilfe + 1 m zur potentiellen Wuchshöhe der gewählten Kletterpflanze reduziert.

Verteilung des Gewichtes von Kletterpflanzen bei Fassadenbegrünungen
Abb. 3      Gewichtsverteilung je nach Begrünungsweise
Alle hier für Gerüstkletterpflanzen angestellten Berechnungen berücksichtigen eine übergrünte Fläche, die aufgrund der angenommenen Überhänge nach vorn und zu den Seiten hin, größer ist als die dahinter installierte Kletterhilfe. Je schmaler diese Kletterhilfe relativ zur Wuchshöhe ist, desto relativ höher wird sie durch Überhänge belastet, manche Systeme hängen an einem einzigen Halter. Pflanzengerechte flächige Konstruktionen bieten eine leichter beherrschbare Gewichtsverteilung und höhere Sicherheit aufgrund mehrfacher Befestigung.

Aus bisherigen Ermittlungen (Althaus 1992, eigene Messungen 1987) kann abgeleitet werden, dass das Laubgewicht sommergrüner Kletterpflanzen im normal feuchten Zustand (vitale Pflanze, trockenes Wetter) 0,015 kN/m² nicht übersteigt. Bei ungeschnittenen Gerüstkletterpflanzen kann in etwa von einem Überhang zwischen 0,3 m und 1,5 m über die Kletterhilfe hinaus ausgegangen werden. Die Oberfläche (F) einer ungepflegten Begrünung mit Gerüstkletterpflanzen kann daher folgendermaßen überschlagen werden:

F = (Höhe x Breite [Ist Klh]) + ((Ü[Tab.] + WA-Klh [Ist]) x Pi x Höhe)
wobei hier bei Kletterhilfen schmaler als 0,1 m für die Breite „Null“ einzusetzen ist.
Ist die Oberkante der Kletterhilfe (Höhe) niedriger (vorgesehen) als die potentielle Wuchshöhe der Bepflanzung muß das Maß um etwa einen Meter erhöht berücksichtigt werden. Praktischerweise alle Maße in Meter angeben!

Abkürzungen:
Klh      = Kletterhilfe
Ü     = Überhang (siehe Tabelle) und
WA KLH  = Wandabstand der Kletterhilfe (siehe Tabelle)

Der Einfluss von Regen

Benässung der Pflanzen durch Tau oder Regen bewirkt eine Erhöhung des Laubgewichtes (Faktoren für Wasseraufnahme durch Eintauchen von Blättern nach ALTHAUS 1992: Aristolochia 2,56; Vitis riparia 1,89; Wisteria sinensis 1,86).
Berücksichtigt man für Durchnässung – bis weitere Werte vorliegen ­generell den Faktor 3,0 auf das bereits mit 0,015 kN/m² großzügig bemessene Laubgewicht, kommt man zum m.E. übermäßig sicheren Wert von maximal 0,045kN/m² für nasse Belaubung.

In Wirklichkeit wird ein Zustand völliger Durchnässung eines Fassadenbewuchses überhaupt nicht eintreten, da Niederschläge am Blattwerk vorderseitig abtropfen. Die Versuche von KIESSL und RATH (1989)
belegen dies und lassen Zweifel an der Repräsentanz der o.a. Eintauchversuche zu. Eine vollständige Durchnässung von Fassadenbegrünungen, die einem Eintauchen in Wasser entspricht, ist demzufolge nur bei außergewöhnlich hohen Windgeschwindigkeiten denkbar. Die damit verbundenen Bewegungen der Blätter würden das Abtropfen beschleunigen. Ich halte unter diesem Aspekt ein Nasslaubgewicht von 0,03 kN/m² für vertretbar, bringe aber sicherheitshalber trotzdem bis auf weiteres die hohe Lastannahme in Ansatz.

Fruchtgewichte

Einige kultivierte sommergrüne Kletterpflanzen bilden einen beachtlichen Fruchtbehang aus. Dies sind in erster Linie Actinidia (Kiwi) und Vitis-vinifera (Weinrebe). Akebia fruchtet eher selten und in Deutschland bestenfalls in geringer Menge. Viele weitere Arten bilden etwa erbsengroßer Beeren aus, deren absolutes Gewicht unerheblich scheint, aber relativ zum flächenbezogenen Pflanzengewicht ­ vor allem bei kleineren Arten ­beachtenswert sein kann. Die Tabelle wie oben benannnt weist vorläufig Schätzwerte aus, die weiterer Überprüfung bedürfen.

Praktische Anwendung
Abschätzung von Pflanzengewichten (belaubt und nass)

„Maximales projektspezifisches Sommergewicht“

Mittels der folgenden Formel lassen sich maximale artspezifische Sommergewichte (G-Som.) bezogen auf Kletterhilfen einer gewissen Höhe sicher ermitteln:

Formel Sommergewicht von Kletterpflanzen zur Fassadenbegrünung
OK Klh bezeichnet das Maß bis Oberkante Kletterhilfe vom Boden aus gemessen. Ist dieses kleiner als die maximale Wuchshöhe muß sicherheitshalber 1 m zuaddiert werden. Holzgewicht, maximale Wuchshöhe und FG (= Fruchtgewicht) sind der Tabelle (wie oben) zu entnehmen. Die Oberfläche „F“ ist nach der weiter oben stehenden Formel zu ermitteln.
Die Breite einer begrünten (also belasteten) Fläche bzw. Kletterhilfe ist für das Holzgewicht von geringer Bedeutung. Egal, wie breit eine Pflanze werden könnte, ändert dies wenig am Gesamtgewicht des Holzes. Es verteilt sich nur anders. Bezogen auf Flächeneinheiten (m²) sind breitere Fassadenbegrünungen daher leichter als schmale. In jedem Fall ist das Holzgewicht/m² nahe der Pflanzstelle am höchsten.

Die Ergebnisse weisen teilweise sehr hoch erscheinende Gesamtgewichte aus. Diese begründen sich einerseits im realistischen Bezug auf ungeschnittene Pflanzen, andererseits am derzeit anzunehmenden Flächengewicht normal feuchten Laubes und dem noch sehr pauschalen „Laubstrukturfaktor“ (Gewichtszunahme bei Durchnässung). Solange keine konkreteren Werte wissenschaftlich ermittelt sind, ist über eine eventuelle Abminderung im Einzelfall zu entscheiden.
Falls eine Berechnung des Pflanzengewichtes nach dem hier beschriebenen Verfahren zu kritischen Ergebnissen (Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit) führt, besteht i.d.R. die Möglichkeit durch Auswahl einer geeigneteren (leichteren) Pflanze (Art/Sorte) dennoch eine zuverlässige und attraktive Fassadenbegrünung auszuführen.

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Der folgende Teil 1.2. befasst sich mit dem Wintergewicht. Dieses übersteigt ggf. das bisher ermittelte Sommergewicht. In diesem Fall ist das korrekte sommerliche Gesamtgewicht unter statischen Aspekten nur dann von Interesse, wenn zusätzlich Windlasten zu vertikaler Beanspruchung führen. Dies ist vorrangig bei Kletterpflanzen an Seilen abhängig vom Abstand der Windsicherungen (Zwischenstützen) der Fall.